everything is better than doomscrolling

Jeden Abend schreibe ich 1 bis 3 positive Dinge des Tages auf. Mal sind es ganz belanglose kleine Nebenbei-Dinge und mal größere Ereignisse. Manche nennen diese Art von Tagebuch ein Positivtagebuch, andere Glimmer Journal oder auch OGT Journal (One Good Thing – Das finde ich ja sehr charmant, weil es die Erwartung niedrig hält).

Im schlimmsten Fall heißt es „Dankbarkeitstagebuch“. Darin stellt sich dann täglich die Frage “Wofür bist du heute dankbar?”. Das finde ich sehr anstrengend und unangenehm. Dankbar sein fühlt sich in dem Kontext viel zu sehr nach Erwartung an und so, als würde eine einfache Beobachtung von etwas Positivem nicht ausreichen. Ich fühle mich albern, wenn ich sage “Ich bin heute dankbar für das Käsebrötchen vom Bäcker mit dem großen Rand aus fettigem zerlaufenem Käse”.

Hätte mir meine Therapeutin damals also vorgeschlagen, ein Dankbarkeitstagebuch zu führen, hätte ich wahrscheinlich niemals damit angefangen.

Training fürs Gehirn, das scheinbar funktioniert

Eigentlich ist es auch völlig egal, wie man es nennt. Denn ein Positivtagebuch steigert die eigene Zufriedenheit. Das ist sogar wissenschaftlich belegt. Dadurch, dass man sich regelmäßig ganz aktiv auf positive Dinge fokussiert, wird das Gehirn trainiert. Es lernt, positive Dinge besser zu erkennen und wahrzunehmen. Man sieht häufiger auch das Gute als immer nur das Negative.

Ich bin eh dafür, den Alltag zu romantisieren, es sich auch im Kleinen richtig schön zu machen, den Tisch zu decken, Wolken zu beobachten und dem Nachtfalter im Schlafzimmer einen Namen zu geben (zugegeben, sie heißen meistens einfach Falti). Oder ist das sogar das Ergebnis? Entdeckt mein Gehirn in vielem etwas schönes, weil ich seit Jahren immer wieder ein Positivtagebuch führe? Kann es sein, dass ich tatsächlich mal genug Ausdauer für etwas hatte, damit es wirklich was bewirkt hat? Ich bin begeistert – bis eben war mir dieser mögliche Zusammenhang noch gar nicht so bewusst.

Das perfekte Journal

Ich habe Apps ausprobiert, die mich jeden Tag zur selben Zeit erinnern, einen Eintrag für heute zu hinterlassen. Das ist praktisch für Menschen wie mich, die alles ohne Erinnerung vergessen. Aber: in die App tippt sich das so fix nebenbei zwischen drei weiteren Benachrichtigungen und am Ende bin ich doch nicht richtig bei der Sache. Deshalb bin ich Pro Notizbuch.

Ich liebe Notizbücher. In meinem Schrank befinden sich etliche unbenutzte Notizbücher, Hefte und Journals. Ich kaufe ständig welche. Linierte, gepunktete, blanko. Weil sie so schön sind oder weil sie schönes Papier haben, das sich gut anfühlt oder weil ich Ideen habe, womit ich sie füllen kann oder weil sie sich perfekt für ein bestimmtes Thema eignen. Und dann lege ich sie in den Schrank. Und da liegen sie dann. Und wenn ich ein Notizbuch brauche, kaufe ich wahrscheinlich ein neues.

Nachdem ich seit mehreren Monaten kein Positivtagebuch mehr geschrieben habe, möchte ich wieder beginnen. Ich habe also im Schrank gesucht – und kein Notizbuch hat gepasst. Meine Ansprüche an das “richtige” Notizbuch für das Positivtagebuch sind scheinbar recht konkret:

  • Es benötigt unbedingt linierte Seiten. Sonst wird es schief und das macht mich unzufrieden und ich führe es nicht weiter oder fange an Seiten auszureißen, weil ich nicht darüber hinwegsehen kann.
  • Die Linien dürfen nicht zu dunkel sein, sonst flimmern sie beim Schreiben vor meinen Augen.
  • Der Einband sollte dünn sein, kein Hardcover. Das schreibt sich einfach schlecht, weil man es dabei so doll auseinanderdrücken muss.
  • Es soll nicht zu dick sein, damit ich es einfach mitnehmen kann.
  • Es darf nicht zu groß sein. Ich habe das perfekte Heft im Schrank: wunderschönes Design, dünner Einband, zarte Linien. Aber es hat A5 Format. Und ich kenne mich: großes Heft = langes Projekt = Ablehnung. Es soll sich kurzweilig und leicht anfühlen.

Ich war also in 3 verschiedenen Geschäften und habe dann endlich ein passendes Heft gefunden (und direkt beschriftet, damit es nicht doch noch im Schrank landet).

Notizbuch auf einem schwarzen Beistelltisch mit Büchern und einer Lampe in Form einer Porzellankatze

Was, wenn mir nichts einfällt?

Natürlich kann das passieren. Es kann immer mal Phasen geben, in denen das Positive einfach nicht sichtbar ist. Vielleicht wegen Trauer, einer Depression oder anderen Erkrankungen. Dass dieser Fall irgendwann mal eintreten könnte, sollte aber kein Grund sein, um ein Positivtagebuch gar nicht erst anzufangen. Irgendeine positive Kleinigkeit gibt es eigentlich an jedem Tag. Manchmal muss man nur erst lernen, sie zu sehen.

Positive Dinge können auch sein:

  • eine süße Katze auf dem Hof
  • der Lieblingspullover, der sich so gemütlich angefühlt hat
  • eine besonders glänzende Kastanie, die ich gefunden habe
  • der erste Kaffee am Morgen
  • das Herbstblatt, das mir unterwegs in den Einkaufsbeutel geweht ist
  • einen Einkaufswagen ohne Chip zu finden, wenn ich keinen Chip dabei habe
  • eine schöne Zeit mit jemandem verbracht zu haben
  • nicht ganz so müde zu sein wie sonst
  • knapp dem Regen entkommen zu sein

Und wenn das Tagebuch mal immer einseitiger und anstrengender wird, dann kann es auch ein wertvoller Hinweis darauf sein, dass mit dem eigenen Zustand gerade etwas ziemlich den Bach runter geht. Und auch das ist ja manchmal ganz hilfreich zu wissen.